Klaus Kowalski  November 1997

Harry Birkofer - Mehr als ein Maler

Eindrücke in einer Ausstellung

Harry Birkofer studierte in Hannover zwar das Lehrfach Kunst - doch war er in den studentischen Kreisen eher bekannt als einer, der mit seiner Gitarre unter die Liedermacher gegangen war. Nach dem Studium in Hannover ist der aus der Umgebung Kölns Gebürtige, dem der rheinische Hintergrund fehlte, wieder in seine Heimatstadt zurückgegangen. Dort lebt und arbeitet er bis heute. Manche Veränderungen gingen in ihm dabei vor. Zeichnen und Malen wuchsen ihm plötzlich zu und wurden ihm zur Lieblingstätigkeit.

Was geschieht, wenn einer - jung an Jahren - sein kreatives Revier findet? Anfangs war das sicher eine schwierige Angelegenheit, weil er seine Bildkonzeption nur langsam fand. Heute entpuppt sich der über Jahre innerlich erkämpfte Weg als fruchtbar, wie seine jüngste Ausstellung im Herbst 1997 zeigen konnte.
Ausgestellt waren 13 Arbeiten aus den letzten Jahren. Schon die knappe Auswahl und die bedachtsame Hängung der Bilder in dem großen, kühl wirkenden Raum des Kunsthauses Rhenania zeigte eine innere Disziplin, die sich in einem für heutige Verhältnisse erstaunlichen Maße auch in den Bildern selbst finden läßt. Ob es sich dabei um eine durch gerissene und aufgeklebte Papierstücke rhythmisierte Fläche innerhalb eines Bildes handelte oder um den Gegenständliches verrätzelnden Farbauftrag einer durch geschicktes Kombinieren gewonnenen Zeichenwelt - nirgends versagt die Präzision des weit über das Handwerkliche hinausreichenden Herstellungsprozesses.

In der hier gezeigten Auswahl von Werken Harry Birkofers lassen sich etwa vier Bildauffassungen herausarbeiten, die, einander oft im technisch versierten Vortrag ähnlich, in der Wahl der motivischen Zusammenstellungen aber unterschiedlich, insgesamt eine künstlerische Logik aufweisen, die auf interessante Entwicklungen in der Zukunft hoffen läßt.

In einer ersten Gruppe von Bilder (z.B. Unterm Hügel 96; Die Bucht 97) besteht die Komposition aus dem Spannungsverhältnis von herausgehobenen Figuren und zurückhaltendem Bildgrund, den eine Horizontlinie noch einmal in Oben und Unten teilt. Sie macht, daß man diese Bilder als Ausschnitte aus einer realen Wirklichkeit auffassen kann, ohne daß diese sich unmittelbar auf Außenwelterfahrungen beziehen läßt. Es sind merkwürdige, umherliegende Objekte erkennbar, die fotografiert, fotokopiert und collagiert zu Zeichenhaftem zusammengefügt wurden, zentriert um ausgeweidete Behältnisse, die wie Zellwände mit klaffenden Lücken wirken und Leere sichtbar werden lassen.

Eine zweite Gruppe von Bildern läßt sich unter dem Begriff  Denkbilder zusammenfassen (z.B. Blick zurück 95; Er lacht, sie lacht, ich lache, du lachst...wir lachen 95; Rheinpracht 97). Das Gemeinsame dieser Bildgruppe ist durch das Aneinanderstellen von gegenständlichen Bildausschnitten im Collageverfahren gegeben, die offen gelesen zu assoziativem Nachdenken Anlaß bieten. Eine oft genug in der Gegenwart zu beobachtende Beliebigkeit in der Anwendung eines solchen Verfahrens wird dadurch verhindert, daß eine bestimmte Motivik das Bild bestimmt und aus ihr seine Grenzen, seinen Aufbau und damit auch seine spezifische Ästhetik entwickelt. Da ist z.B. das Bild über das Lachen des Menschen, das nicht nur Bildausschnitte von Lachenden nebeneinander appliziert, sondern Emotionalität optisch so steigert, daß das vielgestaltige Lachen plötzlich in Verkrampfung, Weinen und das Gefühl von abgrundtiefem Leid umschlägt.

Das Bild Rheinpracht 97 fügt drei collagierte Teilbilder zu einem erst im Gedanklichen entstehenden Bildganzen zusammen. Angefüllt mit fotokopierter fotografischer Realistik wird die Verarbeitung erst im Nachfühlen des Betrachters vollzogen. Wie nebenbei gelingt es dabei dem Maler Harry Birkofer, die visuelle Vielfältigkeit, die das Collageverfahren so mit sich bringt, mittels Farbwahl und Kompositionstechnik zu einer gedanklichen Einheit im Erleben des Betrachters werden zu lassen. Auf diese Weise entzieht sich das Bild dem Zufälligen und Beliebigen.

Dieser Gedanke wird in einer dritten Gruppe von Bildern weitergesponnen (z.B. Das forschende Auge 95; Ruder 97). Der Assoziationsanteil wird jetzt durch rudimentäre Originalgegenstände gegeben. Auf der Grenze von der zweiten zur dritten Art ein Bild zu machen, steht das Bild Gesichte von 1995. Die Beantwortung der von Laien oft gestellten Frage: Wie ist das gemacht? scheitert hier zu Gunsten eines Bildklimas, in dem die bewußt herbeigeführten Zu-Fälle des Malens zum ausgefeilten Kalkül der Bildwirkung gehören. Sie offenbaren einen sensiblen Sinn des Malers für Ton- und Farbwertigkeiten wie etwa bei der sensiblen Steigerung von Blau aus dem trüb geschwärzten Bereich bis zu einem tiefen geheimnisvoll nachtklaren Ton, der mit Goldandeutungen märchenhaft aktiviert ist. Das Ganze ist in einer lückenlosen Dichte und technisch nicht durchschaubaren Präzision aneinandergefügt, die Max Ernst Ehre gemacht hätte.
In dem Bild Ruder (1997) ist der Übertritt zur Objektcollage vollzogen, ohne daß damit die bisherige Sensibilität des Künstlers für Oberflächen- und Farbwirkungen verlorengegangen wäre. Schon der Einfall, dem Braun-Holzigen des Ruderobjekts eine Aura des Gegenfarbenbereiches zuzuordnen läßt einen besonderen Eindruck beim Betrachter zurück wie der links angebrachte Streifen, in dem zehn Mal das gleiche Motiv des Hecks eines Schiffes mit dessen Steuerruder und der sich bildenden Wasserspur so verfremdet werden, daß eine Art Klangfigur entsteht. Auf diese Weise öffnet der Künstler dem Betrachter einen alternierenden Assoziationsraum im Inhaltlichen, der in gar keiner Weise beliebig aber dennoch immer offen bleibt für die Vorstellungskräfte des Betrachters.

In der vierten Gruppe lassen sich objekthafte Collagen zusammenfassen, die aus (Auf)Leseaktionen stammen, die die Wirklichkeit dem wachen Künstler zuspielte (z.B. Die Angst des Käfers vor dem gelben Affen 1996; Spuren 1997; Pegel 1997). Ihnen ist gemeinsam, daß die einst Readymades genannten Fundstücke bis zur Unerkennbarkeit in neugeformte Objekte umgearbeitet sind und das technische Vorgehen des Objektkünstlers Harry Birkofer selten preisgeben. Dabei spielt der Titel des Objektwerkes eine hintergründige Rolle. Mit ihm gelingt es dem Künstler Harry Birkofer auch dem gebräuchlichsten Ausdrucksmittel heutiger Zeit eine besondere Tiefe zu geben.

Es fällt auf, daß sich die vier Werkgruppen nicht als "Entwicklung" zeitlich hintereinander ordnen lassen. Vielmehr scheinen sie zeitlich ungebunden im Schaffen des Künstlers ineinanderzuwirken. Nicht die Entwicklung eines Stils ist damit mehr das Ziel des Künstlers, sondern die adäquate Wahl im Hinblick auf die Motivik des Werkes, die zu gleichen Teilen Gefühlszustände des Künstlers widerspiegelt und gleichzeitig andere im Betrachter erregt.

Lediglich eine Tendenz zum Fundstück ist erkennbar, wobei zu hoffen steht, daß dem Künstler dabei nicht Teile seines malerischen Könnens und die hochgradige Sensibilität für Farb- und Formklänge abhanden kommt. Jedenfalls aber darf man gespannt sein, welche Entwicklung dieses Werk in Zukunft nehmen wird. Dafür ist dem Künstler innere Ruhe, äußere Anerkennung und ein gerüttelt Maß an Glück in einer medial umtriebigen Welt zu wünschen.

Universitätsprofessor em. Klaus Kowalski



vorheriger Text Textauswahl nächster Text